Single Pair Ethernet [SPE]

In der Industrie werden heute meistens Installationskabel der Komponentenkategorie Cat.7 oder Cat.8 installiert. Diese sind aufgrund ihrer physikalischen Übertragungseigenschaften enorm leistungsfähig, aber auch schwer, teuer und entsprechend aufwändig zu installieren. In der Industrie aber brauchen wir, um Sensoren und Aktoren, die geringe Bandbreiten benötigen, effizient in das OT-Netzwerk integrieren zu können, ein leichteres, dünneres Kabel, das dennoch PoDL (Power over Data Lines) unterstützt sowie Daten und Leistung über grosse Entfernungen übertragen kann. Die gute Nachricht: Dieses ist zukünftig verfügbar.

Dabei handelt es sich um "Single Pair Ethernet" oder kurz SPE. Es handelt sich um einen Verkabelungs- und Netzwerkstandard, mit dem grundsätzlich jeder Sensor oder Aktor mit elektrischer Energie versorgt und über das Ethernet-Netzwerk kommunizieren kann. Mit SPE ist es heute schon möglich, Geräte mit einer Bitrate von 10 Mbit/s über eine Entfernung von max. 1000m anzubinden und für die elektrische Versorgung optional die PoDL Technologie zu nutzen (Ethernet Standard IEEE P802.3cg 10Mbit/s). Dadurch könnten eigentlich alle Feldbustechnologien mit Datenraten von Hunderten kbit/s bis zu 10 Mbit/s ersetzt werden. Die grosse Reichweite von max. 1000m ist dabei das wichtigste Kriterium. Ausserdem kann SPE auch an entfernten und explosionsgefährdeten Umgebungen eingesetzt werden, da ja eine Fernspeisung der Endgeräte möglich ist.

Single Pair Ethernet wird in der Automobilindustrie bereits erfolgreich eingesetzt. Kabelbaumsysteme in Fahrzeugen und fahrzeuginterne Netzwerke haben in hohem Masse von der Arbeit profitiert, die Automobilentwicklungsteams in Zusammenarbeit mit ihren Kabel- und Steckverbinderpartnern geleistet wurden. Diese Arbeit resultierte 2015 in der Veröffentlichung des Technologiestandards IEEE 802.3bw, 100BASE-T1 für fahrzeuginterne Netzwerke. Innovative Fahrerassistenzsysteme und rechenintensive Displays erforderten kostengünstige, schnelle Kommunikationsnetzwerke, da die heutigen Fahrzeuge eine enorme Menge von Echtzeitdaten sowie Firmware und Software zwischen elektronischen Steuergeräten (ECUs) austauschen. IEEE 802.3bw (100BASE-T1) ist entstanden, indem ein neues Physical Layer (PHY) Übertragungsprotokoll entwickelt wurde, für das ein einzelnes Adernpaar genügt.

Der 100BASE-T1 Standard basiert auf der bestehenden OPEN Alliance BroadR-Reach® Automobilspezifikation und ist mit dieser kompatibel. Das neue Physical Layer (PHY) Übertragungsprotokoll für 100BASE-T1 ist der erste Standard einer Reihe von Single Pair Ethernet Standards, die in Zukunft neue Anwendungen ermöglichen werden. Das Übertragungsprotokoll für 100BASE-T1 führt heute alle erforderlichen Verschlüsselungen und Codierungen vor der Übertragung über ein ungeschirmtes Twisted Pair Kabel mit einer Länge von bis zu 15 m durch. 100BASE-T1 ist eine physikalische Vollduplexschnittstelle – das heißt, die Daten werden auf demselben Adernpaar gesendet und empfangen. Die physikalische Vollduplexübertragung wird nach dem Prinzip der Superposition erreicht. 100BASE-T1 Adernpaare besitzen integrierte Hybridschaltungen und nutzen die Echokompensation, um ihr selbst gesendetes Signal zu entfernen und die von der Gegenstelle empfangene Information zu entnehmen. Im Gegensatz dazu haben heute 10BASE-T und 100BASE-TX für jede Übertragungsrichtung ein eigenes Adernpaar. Der Einsatz eines Übertragungsmediums für beide Richtungen reduziert logischerweise das Gesamtgewicht der installierten Leitungen. Dadurch können nicht nur die Materialkosten reduziert, sondern dank speziellen Überlagerungs- sowie Codierungs- und Verschlüsselungstechniken elektromagnetische Störungen (EMS), Kosten und Platzbedarf im Vergleich zu den bestehenden 10BASE-T und 100BASE-TX Ethernet Standards verringert werden.

Heute ermöglicht 100BASE-T1 die Übertragung von Audio-, Video-, Connected Car-, Firmware-/Software- und Kalibrierungsdaten in Fahrzeugen mit Ethernet Protokollen für Audio Video Bridging (AVB) über ein ungeschirmtes Twisted Pair Kabel. Die von der IEEE Time-Sensitive Networking Arbeitsgruppe entwickelten AVB-Protokolle bieten eine geringe deterministische Latenz, synchronisierte Knoten und Traffic Shaping (Kategorisierung des Datenverkehrs). Diese Aspekte sind wichtig für die Kommunikation verschiedener Informationsarten in Automobilsystemen, da sich so mit 100BASE-T1 verschiedene Datenarten mit unterschiedlichen Prioritäten übertragen lassen (niedrige Datenrate mit hoher Priorität oder hohe Datenrate mit niedriger Priorität sowie Zeitsynchronisation).

In der Fertigungs- und Prozessautomatisierung wurden die Erfolge der Automobilindustrie mit SPE durchaus wahrgenommen. Um die Anwendung für große Übertragungsstrecken in diesen Branchen zu ermöglichen, werden derzeit zwei neue Kabelstandards erarbeitet. IEC 61156-13 und IEC 61156-14 beschreiben symmetrische einpaarige Kabel mit Übertragungseigenschaften bis 20 MHz über Entfernungen von bis zu 1000m, die 10 Mbit/s für vorwiegend industrielle Anwendungen unterstützen. Der Kabeltyp ist für geschirmte Kanäle vorgesehen, die auch eine Fernspeisung unterstützen. Teil 13 beschreibt SPE-Leitungen für die horizontale Verlegung am Boden (horizontal floor wiring). Dieser Kabeltyp besitzt einen massiven geglühten Kupferleiter mit einem Nenndurchmesser zwischen 0,64 und 1,7 mm. Teil 14 ist für die flexible Verkabelung (work area wiring) vorgesehen.

Heute arbeiten viele Organisationen mit Hochdruck daran, die Single Pair Ethernet Technologie für einen erfolgreichen Einsatz in der Industrie fertigzustellen. Derzeit läuft die Entwicklung eines Advanced Physical Layers (APL) für Ethernet, das in der Prozessautomatisierung und -instrumentierung eingesetzt werden kann, um Feldgeräte an entfernten und explosionsgefährdeten Orten einsetzen zu können. Dabei werden die elektrische Leistung und die Daten über eine geschirmte Twisted Pair SPE Leitung an die Feldgeräte übertragen. Der schon sehr lange erwartete Einsatz von „Ethernet bis zur Feldebende“ wird damit bis 2021/2022 definitiv möglich sein.

2016 wurden der Standard IEEE 802.3bp 1000BASE-T1 für höhere Datenraten und der SPE Standard IEEE 802.3bu für Power over Data Lines (PoDL) über symmetrisches Single Twisted Pair Ethernet veröffentlicht. Dies war ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung von SPE. Zur Zeit werden Standards für SPE Kabel und Steckverbinder von verschiedenen internationalen und nationalen Normungsgremien und Nutzerorganisationen erarbeitet. Es gibt Kabelstandards für Anwendungen über große Entfernungen mit Übertragungseigenschaften bis 20 MHz (IEC 61156-13 und -14) als auch für Anwendungen mit höheren Datenraten und Übertragungseigenschaften bis 600 MHz und Entfernungen von bis zu 40m (IEC 61156-11 und -12), jeweils für eine feste und flexible Verlegung. Der Standard für die flexible Verkabelung befindet sich im Augenblick in Vorbereitung. Für die unterschiedlichen Anwendungen werden sechs neue Steckverbinderstandards vorbereitet. Vier dieser SPE Steckverbinder gemäß IEC 63171, Teile 1 bis 4, sind für die Büroumgebung (IP20) klassifiziert, IEC 63171-5 und IEC 63171-6 spezifizieren SPE Steckverbinder für das industrielle Umfeld (IP65/67).

Der Standard „Generic Cabling for Customer Premises ISO/IEC 3WD TR 11801 part 9906 –technical report: Balanced 1-pair cabling channels up to 600MHz“ beschreibt symmetrische einpaarige Kanäle für die Unterstützung von Single Pair Ethernet Anwendungen gemäß den IEEE 802.3 SPE Standards. In diesen Standards wird festgelegt, dass 1000 Mbit/s (IEEE 802.3bp) bis zu 40 m, 100 Mbit/s (IEEE 802.3bw) mit ungeschirmten Kabeln bis zu 15 m oder 10 Mbit/s (IEEE 802.3cg) bis zu 1000 m zulässig sind, wobei das Kabeldesign und der Drahtdurchmesser die mögliche Reichweite bestimmen.

Durch diese Standardisierungs- und Forschungsaktivitäten für SPE und die Fortschritte, die dadurch erzielt wurden, wird nun an dem Ziel gearbeitet, die Single Pair Ethernet Technologie schnellstmöglich im Industriebereich nutzbar zu machen. Mit einem umfassenden Angebot an Komponenten, Geräten und Anwendungen für die Single Pair Ethernet Technologie wird Industrie 4.0 skalierbar, deterministisch und vollständig kompatibel.

Um den Anforderungen der Fertigungs- und Prozessautomatisierung gerecht zu werden, werden die IEEE 802.3 Standards ständig weiterentwickelt und verbessert. Eine IEEE P802.3ch Arbeitsgruppe für Multi-Gig Automotive Ethernet wurde gegründet, mit dem Ziel, den Standard IEE 802.3 für größer 1 GBit/s für Automotive Ethernet weiterzuentwickeln. Zusätzlich gibt es Forschungsprojekte, um diesen Standard auch für den Industriebereich und den Gebäudesektor nutzbar zu machen. Die Vorteile der SPE-Technologie in Bezug auf Miniaturisierung und Gewichtsreduktion, verbunden mit einer einfachen Anschlusstechnologie, machen diese Innovation für die Automatisierungstechnik, Prozessautomation, Gebäudeverkabelung, Bahntechnik, Automobilindustrie und für viele weitere Anwendungen interessant. Durch kostengünstige, zuverlässige Kabel, Steckverbinder und aktive Komponenten, die mit den SPE Standards konform sind, werden alle Subsysteme innerhalb einer Fabrik kleiner und der Platzbedarf für Leistungs-und Temperatursteuerung sinkt. Die deutlich einfachere Verkabelung und Installation von Komponenten wird zudem die Material- und Arbeitskosten senken.

Glasfaserkabel für lange Übertragungsentfernungen und geschirmte CAT7 / Cat.8 Ethernet Kabel aus Kupfer mit vier Adernpaaren für hohe Datenraten von 10 Gbit/s werden weiterhin eingesetzt werden. In Zukunft werden jedoch Sensor-, Aktor- und SPS-Daten ohne entsprechende Protokoll-Gateways und ohne proprietäre Schnittstellen die erfassten Daten an zentrale Datenautobahnen weiterleiten können. Wir sind überzeugt, dass davon der gesamte Industriebereich profitieren kann. In diesem Sinne... wir halten Sie auf dem Laufenden.

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